Die Kuh Grast


von Cosimo Suglia.


Inspiriert von Roger Manderscheids “Stille Tage in Luxemburg”.


Die Kuh grast.

Sie grast den ganzen Tag. Denn was gibt es sonst so zu tun, als zu grasen? Schlafen? Muhen. 

Die Kuh muht.

Sie muht laut. Lauter denn je. Ein Schrei, welcher von den Tiefen ihres vierten Magens ausbricht und die anderen Kühe auf der Wiese staunen lässt.

Leider keine Kamera da, die sie in diesem Moment gefilmt hätte. Die kam erst später. Die Kamera, die sie filmte; ihr ins Auge stößt, wie diese lästigen Mücken, welche sie am liebsten zertrampelte. Eigentlich kam der Hass von den Mücken eher durch Neid. Sie wäre am liebsten eine Mücke. Denn Mücken können fliegen und summen, und können den elektrischen Gitter entfliehen und dann die Welt entdecken.

Sie. Sie muss hinter dem Gitter bleiben. Dies ist ihre kleine Welt. 

Der Bauer kommt und melkt ihre Nippel fast jeden Tag.

Sie grast weiter.

Am Findel wird ein Flugzeug mit Kerosin gefüllt.

Esch lebt.

Esch-Sur-Alzette sagen die Franzosen. Esch-Sur-Alzette sagen auch die Luxemburger, die nichts gegen Ausländer haben.

Ausländer die jetzt Luxemburger sind.

Esch ist Luxemburg. Nicht Luxemburg Stadt, also die, die den Namen Lucilinburhuc trug und gegründet wurde von einem Prollet, welcher Pescetarier hasste. Esch ist Luxemburg im abstrakten Sinn. Natürlich auch geografisch.

40.000 Einwohner hat diese Stadt. Also das war 2017 so. Wie es heute ist, keine Ahnung. Müsste man eigentlich nachzählen. Aber wer hat eigentlich Zeit für sowas?

Den Esch lebt und hat keine Zeit zu zählen. Wir zählen ja auch nicht unsere roten Blutkörperchen. Außer wir sind krank und Doktor:innen vermuten, dass wir zu wenig rote Blutkörperchen haben und sie tuen alles darum, dass die Werte wieder normal werden.

Aber Esch braucht das nicht, denn Esch lebt.

Sie ist Kulturhauptstadt.

Sie ist Nabel des Südens.

Sie ist Universitätsstadt.

Geschichte hat sie. Diese Stadt, welche im Getümmel von Neubau manchmal ihre Geschichte vergißt. Verdrängt. Als wäre sie Zweitrangig. Die kleine Schwester, welche im Schatten des großen Bruders leben muss.  

Und beim Buddeln für reifen Boden steigt der Gestank von Stahl und Ruß in die Luft.

Sie ist die Stadt der Hochöfen. Hochöfen, welche einst Glut spukten, wie ein wilder Drache. Eier aus Eisen legte, welche Europa brütete.  Der König versprach Gold denen vom Mittelmeer. Er hätte silbernes Gold, welches an Wände lauerte, wie Birnen an Bäumen.

Doch keiner ahnte, dass die Birnen an dornigen Ästen wuchsen, beschützt von einem Drachen.

Sie schauten nach oben, doch der Himmel war Schwarz.

Sie schauten nach oben, doch der Nachthimmel war Rot.

Leider wurden viele dem Drachen zum Opfer. Einst zukünftige Großväter, verbuddelt in den Mienen eines unbekannten Landes.

Sie wurden zu Futter. Dunkles Futter, welches eigentlich selbst Familie zu ernähren hatte. Doch die, die auf ihren Tron saßen, versprachen dem Drachen Futter.

Gutes Futter.

Aber um die Herzen des Mitterlmeerproletariats zu brechen, bräuchte es mehr als einen Drachen. Sie kamen an die Birnen und pflückten den Baum leer. Gestärkt köpften sie den Drachen und badeten sich in dessen Blutt.  Ihre raue Haut wurde zu Schuppen aus Stahl und das Nest des Drachen zu ihrem Zuhause.

Die Straßen riechen nach Abgasen und frittiertem Teig.

Die Straßen riechen nach dem Schweiß des Lebens.

Im Tierpark riecht es nach Scheiße.

Die Kuh merkt es selbst. Sie merkte es schon als sie ein Kalb war. Und obwohl viele denken, dass man sich daran gewöhnt, wissen sie nicht von was sie reden.

„Hier riecht es nach Scheiße,“ sagte die Schnecke von ihrem Felsen.

„Halt deine Schlabberschnauze, bevor ich dich auf den Salzstein lege,“ antwortete die Kuh.

Die Schnecke spuckte vor sich hin.

Die Kuh lachte.

Die Besucher gaben ihr Birnen und sie teilte diese mit den Mücken. Die Mücken erzählten von der Welt draußen und deren Schrecken – Mückenklatscher, Fahrzeuge oder auch Klebestreifen – und dann dachte sich die Kuh, vielleicht ist die Wiese gar nicht so schlecht. Vielleicht ist ihre kleine Welt gar nicht so klein.

Sie mag ihre Welt. Manchmal, auf jeden Fall.

Am Findel startet das Flugzeug nicht.

Die Kuh grast.

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